Die Generalversammlung in der Schweiz: Struktur und Aufgaben

Die Generalversammlung ist das wichtigste Organ einer Aktiengesellschaft in der Schweiz. Sie trifft grundlegende Entscheidungen, die die Ausrichtung und Führung der Gesellschaft massgeblich beeinflussen. An der Generalversammlung nehmen die Aktionäre oder deren Vertreter teil, um über zentrale Fragen abzustimmen.

Arten von Generalversammlungen

In der Schweiz gibt es drei Hauptarten von Generalversammlungen (GV), die unterschiedliche Funktionen und Anforderungen haben:

  • Ordentliche Generalversammlung: Diese wird normalerweise vom Verwaltungsrat einberufen, findet einmal jährlich statt und muss innerhalb von sechs Monaten nach dem Jahresabschluss durchgeführt werden (Art. 699 Abs. 2 OR). Sie behandelt regelmässig wiederkehrende Themen wie die Genehmigung der Jahresrechnung, die Entlastung des Verwaltungsrats und die Entscheidung über Dividenden. 
  • Ausserordentliche Generalversammlung: Diese wird einberufen, wenn dringende Entscheidungen erforderlich sind, die nicht bis zur nächsten ordentlichen GV warten können. Der Verwaltungsrat oder die Revisionsstelle kann eine ausserordentliche GV beantragen (Art. 699 Abs. 1 OR). Zudem können Aktionäre, die mindestens 10 % des Aktienkapitals halten, die Einberufung verlangen (Art. 699 Abs. 3 OR). Falls der Verwaltungsrat nicht reagiert, kann das Gericht die Einberufung veranlassen (Art. 699 Abs. 4 OR).
  • Universalversammlung: Diese (Unter-)Art der Versammlung ist in Art. 701 OR geregelt und kann ohne formelle Einberufung und Agenda stattfinden, sofern alle Aktionäre anwesend sind und zustimmen. Dies ermöglicht flexible und schnelle Entscheidungen in besonderen Fällen.
Einberufung und Traktandierung

Wenn nichts Anderes in den Statuten vorgesehen ist, muss die ordentliche GV spätestens 20 Tage vor dem geplanten Termin einberufen werden. In der Einladung zur GV müssen die Traktanden und die Anträge des Verwaltungsrates bekannt gegeben werden (Art. 700 Abs. 1 OR). 

Aktionäre, die Aktien im Wert von über CHF 1 Million oder mindestens 10 % des gesamten Aktienkapitals besitzen, haben das Recht, eigene Punkte auf die Tagesordnung zu setzen (Art. 699 Abs. 3 OR). Diese Bestimmungen gewährleisten, dass alle relevanten Themen behandelt werden und dass die Interessen der Aktionäre berücksichtigt werden.

Teilnahme und Stimmrecht

Teilnahmeberechtigt an der GV sind alle Aktionäre bzw. deren Vertreter sowie Gäste, die von der Versammlungsleitung eingeladen wurden. Aktionäre können ihr Stimmrecht persönlich ausüben oder sich durch andere Aktionäre, Dritte (wenn dies in den Statuten vorgesehen ist), Organvertreter, unabhängige Stimmrechtsvertreter oder Depotvertreter vertreten lassen (Art. 689 Abs. 2 OR, Art. 689c OR). Diese Möglichkeiten der Stimmrechtsvertretung gewährleisten, dass auch Aktionäre, die nicht persönlich anwesend sein können, ihre Rechte wahrnehmen können.

Aufgaben der Generalversammlung

Die GV hat spezielle Aufgaben, die weder an andere Organe übertragen noch von diesen übernommen werden dürfen (Paritätsprinzip). Zu den wichtigen Aufgaben gehören:

  • Änderung der Statuten: Änderungen an den Statuten, die die grundlegenden Regeln der Gesellschaft festlegen, können nur durch die GV beschlossen werden (Art. 698 Abs. 2 OR).
  • Wahl des Verwaltungsrates und der Revisionsstelle: Die Mitglieder des Verwaltungsrats, die für die strategische Leitung des Unternehmens verantwortlich sind, sowie die Revisionsstelle, die die Jahresrechnung prüft, werden von der GV gewählt (Art. 698 Abs. 2 OR).
  • Genehmigung der Jahresrechnung und Entscheidung über die Verwendung des Bilanzgewinns: Die GV genehmigt die Jahresrechnung und entscheidet, wie der Bilanzgewinn verwendet wird, zum Beispiel ob Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet oder Gewinne reinvestiert werden sollen (Art. 698 Abs. 2 OR).

Diese Aufgaben sind zentral für die Kontrolle und Steuerung der Gesellschaft und dürfen nicht delegiert werden, um die direkte Einflussnahme der Aktionäre zu sichern.

Antragsrecht und Beschlussfassung

Aktionäre haben das Recht, Anträge zu den auf der Tagesordnung stehenden Themen zu stellen (Art. 700 Abs. 2 OR). Der Verwaltungsrat ist ebenfalls verpflichtet, zu den Traktanden Anträge zu formulieren. Beschlüsse werden in der Regel mit der Mehrheit der vertretenen Stimmen gefasst (Art. 703 OR). Ein Protokoll wird über die Versammlung geführt, und Beschlüsse über Statutenänderungen müssen öffentlich beurkundet werden (Art. 702 Abs. 2 und 3 OR).

Anfechtung und Nichtigkeit von Beschlüssen

Beschlüsse, die gegen das Gesetz oder die Statuten verstossen, können von den Aktionären beim Gericht angefochten werden (Art. 706 OR). In schwerwiegenden Fällen, in denen grundlegende gesetzliche Vorschriften verletzt werden, können Beschlüsse sogar für nichtig erklärt werden, was bedeutet, dass sie von Anfang an als ungültig betrachtet werden (Art. 706b OR).

Gewisse Beschlüsse der GV müssen im Handelsregister eingetragen werden, z.B. der Beschluss über eine ordentliche Kapitalerhöhung. Wenn der Beschluss mangelhaft ist, kann eine Handelsregistersperre erhoben werden. Dies dient dem Schutz der Aktionäre und der Öffentlichkeit vor ungültigen oder rechtlich fragwürdigen Entscheidungen.

Virtuelle Generalversammlung

In der Schweiz wurde die Möglichkeit der virtuellen Generalversammlung durch eine Anpassung des Schweizer Obligationenrechts (OR) eingeführt. Eine virtuelle Generalversammlung ermöglicht es den Aktionärinnen und Aktionären, mittels elektronischen Mittel an der Versammlung teilzunehmen, ohne physisch anwesend zu sein.

Gemäss Art. 701d OR kann eine Generalversammlung vollständig virtuell und ohne physischen Tagungsort abgehalten werden, sofern die Statuten der Gesellschaft dies zulassen. 

Art. 701e OR legt fest, dass der Verwaltungsrat die Verwendung elektronischer Mittel regelt und sicherstellt, dass die Identität der Teilnehmer überprüft wird, Voten in Echtzeit übertragen werden und jeder Teilnehmer Anträge stellen und an Diskussionen teilnehmen kann. Zudem muss gewährleistet sein, dass das Abstimmungsergebnis unverfälscht bleibt.

Sollten während der Generalversammlung technische Probleme auftreten (Art. 701f OR), die eine ordnungsgemässe Durchführung unmöglich machen, so ist die Versammlung zu wiederholen. Die bis zum Auftreten der technischen Probleme gefassten Beschlüsse bleiben jedoch gültig.

In der Schweiz ist die virtuelle Generalversammlung noch nicht weit verbreitet. Sie stellt jedoch eine moderne alternative zu physischen Generalversammlungen dar und ermöglicht eine Teilnahme der Aktionäre, unabhängig von deren geografischem Standort. Gerade in Zeiten, in denen physische Treffen erschwert sind, oder wenn viele Aktionäre einer Gesellschaft im Ausland wohnen, bietet die virtuelle GV eine effiziente Alternative zur physischen Generalversammlung. Die virtuelle Generalversammlung stellt sicherlich die Versammlungsform der Zukunft in der Schweiz dar. 

Fazit

Die GV ist ein zentrales Instrument der Aktionäre in der Schweiz. Sie stellt sicher, dass die wesentlichen Entscheidungen durch die Eigentümer des Unternehmens, die Aktionäre, getroffen werden. Durch klare gesetzliche Vorgaben und Rechte, wie das Antragsrecht und die Möglichkeit zur Anfechtung von Beschlüssen, wird eine transparente und verantwortungsvolle Unternehmensführung gewährleistet. Mit der Einführung der virtueller GV wird die Beteiligung der Aktionäre weiter erleichtert und flexibilisiert, was den modernen Anforderungen einer globalisierten und digitalisierten Welt entspricht.

Alisa Burkhard und Tseyang Garne

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